Sind Zeugen bald überflüssig?

Geschrieben am 02.09.2017 von:

Sabine Pernikas

Rechtsanwältin | Fachanwältin für IT-Recht
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Strafprozesse sind in der Regel von Zeugenaussagen und vor allem auch den Aussagen der Opfer geprägt. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung und der Nutzung von verschiedenen Kommunikationsmitteln werden jedoch immer häufiger z.B. auch Videoaufzeichnungen oder Chatverläufe als Beweismittel herangezogen. Bei diesen stellt sich oft die Frage nach der Verwertbarkeit, z.B. wenn in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird oder eine Aufzeichnung unrechtmäßig erlangt wurde. International zeichnen sich erste Entwicklungen ab, die einen Wandel andeuten könnten.

Nicht alles wird von einer Kamera aufgezeichnet, daher waren und sind Zeugen wohl das wichtigste Beweismittel in einem Strafprozess. Der Vorteil ist, dass sie unter Umständen detailliert und umfassend die Details eines Tathergangs schildern und so entscheidend zur Aufklärung von Straftaten beitragen können. Ein großer Nachteil war schon immer, dass Zeugen natürlich lügen können. Zwar ist eine Falschaussage vor Gericht nach § 153 StGB strafbar, jedoch kann diese oft nicht nachgewiesen werden. Ein weiteres Problem ist, dass Zeugen häufig unbewusst falsche Angaben machen. Anhand von Studien konnte mittlerweile nachgewiesen werden, dass die Erinnerung an plötzlich auftretende Ereignisse wie eine Straftat stark verfälscht sein kann. Zeugen machen also häufig Angaben, die nicht dem tatsächlichen Geschehensablauf entsprechen.

Daten sind zuverlässig

In Zeiten von sozialen Medien und Smartphones, die beinahe rund um die Uhr Daten ihrer Nutzer aufzeichnen, könnte man natürlich auf diese Informationsquelle zurückgreifen. Der Vorteil der Daten liegt auf der Hand: sie können nur schwer manipuliert werden und sind auch nicht abhängig von den Erinnerungen einzelner Personen. Tatsächlich gab es in den USA einige Urteile, in denen man zur Beweisführung auf solche Daten zurückgegriffen hat. So wurde ein Mann wegen Brandstiftung verurteilt, weil die Staatsanwaltschaft anhand der Daten aus seinem Herzschrittmacher beweisen konnte, dass er entgegen seiner Behauptung zur Tatzeit nicht geschlafen hat. Auch einem Ehemann konnte der Mord an seiner Ehefrau nachgewiesen werden. Dieser hatte behauptet, seine Frau sei von einem Einbrecher getötet worden. Nach Auswertung der Daten des Fitness-Trackers der Ehefrau konnte jedoch ein genaues Bewegungsprofil erstellt werden, welches sich nicht mit den Schilderungen des Ehemanns gedeckt hat.

In einem weiteren Mordfall sollen die Daten eines Echos ausgewertet werden, dem Sprachassistenten „Alexa“ von Amazon. Dieses System zeichnet automatisch Geräusche in einem bestimmten Umkreis auf und speichert sie in einer Cloud. Andernfalls würde es gar nicht funktionieren. Die Ermittler erhoffen sich nun, dass sie durch die Auswertung der Daten hören können, wie sich der Mord abgespielt hat. Im gleichen Fall haben die Ermittler bereits die Daten eines vernetzten Wasserzählers ausgewertet, da die Leiche im Pool des Beschuldigten gefunden wurde. Die Auswertung ergab mitten in der Nacht einen enorm hohen Wasserverbrauch. Dies spricht dafür, dass der Beschuldigte das Wasser im Pool abgelassen und neu aufgefüllt hat, um Beweise zu vernichten.

Umfangreiche Beweisverwertungsverbote in Deutschland

Auch in Deutschland wünschen sich immer mehr Staatsanwälte die Möglichkeit, derartige Daten in einem Prozess verwenden zu können. Dem steht jedoch häufig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entgegen. Aus diesem Recht folgen zahlreiche ausdrückliche und nicht ausdrückliche Beweisverwertungsverbote. Ausdrückliche Beweisverwertungsverbote sind durch ein Gesetz geregelt. So besteht nach § 100c Abs. 5 StPO ein Verbot für das Abhören von Gesprächen, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung umfassen. Ein weiteres Beweisverwertungsverbot findet sich in § 100d StPO, wonach eine Person ohnehin nur nach richterlicher Anordnung abgehört werden darf.

Daneben gibt es auch nicht ausdrückliche Beweisverwertungsverbote. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts muss, wann immer in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer Person eingegriffen wird, eine Interessenabwägung zwischen den Rechten der Person und den Interessen des Staates an der Strafverfolgung erfolgen. Ergibt diese Interessenabwägung, dass die Rechte des Betroffenen überwiegen, folgt daraus ein Beweisverwertungsverbot. Hierzu hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit zahlreiche Fallgruppen gebildet.

Da das Datenschutzniveau in den USA im Vergleich zu Deutschland und Europa generell niedriger ist, zeigt sich dort auch die Rechtsprechung großzügiger in Bezug auf die Verwertung von Daten. Auch wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Deutschland hochgehalten wird, muss man sich mit den neuen Technologien und den möglichen Beweisquellen auseinandersetzen. Gerade das Strafverfolgungsinteresse bei schweren Straftaten ist besonders hoch und darf nicht hinter das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten treten. Am Ende wird wohl ein entsprechendes Gesetz erlassen werden müssen, welches die Verwendung von verschiedenen Daten regelt und die Interessen der Betroffenen berücksichtigt.


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